Wenn zwei Löwinnen sich begegnen – und plötzlich Raum entsteht

Ich bin zu Besuch bei einer Freundin. Wir sind beide Mütter, beide alleinerziehend, beide fest verankert im prallen Alltag mit unseren Kindern. Jede trägt ihr Rudel, ihre Verantwortung, ihre Müdigkeit – und ihr Herz – mit sich. Und obwohl wir ganz eigene Wege gehen, sind wir durch etwas Tiefes verbunden: dieselben Werte. Einfühlen statt Eingreifen. Kontakt statt Kontrolle. Begegnung statt Bewertung.

 

Es ist einer dieser Tage, an denen die Reibung spürbar in der Luft liegt. Die Kinder sind aufgewühlt, impulsiv, empfindlich. Zwei von ihnen – ohnehin heute schon mehrfach aneinandergeraten – krachen wieder aneinander. Laut, wild, emotional. Ich zeige Präsenz, greife ein und entscheide für uns alle: ein Ortswechsel. Erdung. Zwei aufgewühlte kleine Körper sollen durch Bewegung und Aufgabe zur Ruhe kommen. Sie folgen mir – murrend und schimpfend.

 

Und dann taucht meine Freundin im Flur auf. Sie hat das Geschehen nicht gehört, aber sofort erkannt: Hier brennt was.

Ganz selbstverständlich geht sie auf Augenhöhe zu den Kindern. Sie kniet sich hin, stellt Fragen, hört zu, versucht, Ordnung ins Chaos zu bringen. Ich bin einen Schritt zurückgetreten – und spüre dabei etwas Unerwartetes: Entlastung und Neugier.

 

Keine Einmischung. Kein Übergehen. Sondern echtes Mittragen. Eine andere Strategie, derselbe Kompass. Ihre Art zu handeln unterscheidet sich von meiner – und trotzdem erkenne ich mich in ihrer Haltung wieder. Zwei Löwinnen, zwei Wege, aber dasselbe Ziel: Sicherheit. Verbindung. Orientierung.

 

Als das Gespräch zu stocken beginnt – zu viel Emotion, zu wenig Abstand – lenkt sie die Situation um: „Wer kommt mit mir mit dem Lastenrad zum Supermarkt?“ Und wie auf Kommando: beide Kinder raus. Der Dampf entweicht. Ich bleibe in der Küche allein zurück.

 

Etwa eine Stunde später kommt meine Freundin zurück. Ohne Kinder.

 

Ich frage sie schmunzelnd: „Hast du die Kinder im Wald ausgesetzt?“

„Nein“, lacht sie, „in der Malschule.“

 

Wir landen in der Küche. Ich stehe am Schneidebrett, das Messer in der Hand, schneide Gemüse – eine Szene so alltäglich wie ehrlich. Sie sucht – zum wiederholten Mal heute – ihr Handy zwischen Brotkorb, Jackentasche und Geschirrtuch. Und dabei entsteht etwas Kostbares: ein Gespräch.

 

Ich frage, ohne Groll, einfach neugierig:

„Hast du gemerkt, dass ich gerade mit den Kindern auf dem Weg in die Küche war, um den Konflikt zu begleiten und Du mir komplett reingegrätscht bist?“

 

Sie schaut überrascht. Nein – hatte sie nicht registriert. Es war nicht geplant, nicht gesteuert – einfach ihre spontane Reaktion auf das, was sie gesehen hat. Und wir reden weiter. Offen, direkt, leicht. Während ich weiter schnippele, und sie zwischen zwei Sätzen das Handy wieder verlegt.

 

Und da wird mir klar, wie selten und wie kostbar das ist.

Dass wir nicht nur gemeinsam durch einen konfliktreichen Tag stolpern – sondern auch im Anschluss darüber sprechen können.

Ganz ohne Konkurrenz. Ohne Rechtfertigung. Ohne Machtspiel. Sondern mit echtem Interesse. Mit Vertrauen. Mit der Bereitschaft, sich gegenseitig zu sehen.

 

Das ist das vielleicht größte Geschenk in diesem Moment:

Dass zwei alleinerziehende Löwinnen, die sich Tag für Tag allein durch die Wildnis des Alltags schlagen, einander Raum geben. Zum Eingreifen. Zum Innehalten. Zum Reden.

Nicht nur in der Konfliktsituation. Sondern auch danach – im Gemüsechaos der Küche, mit Messer in der Hand und einem Herz, das sich nicht verteidigen muss.

 

Heute war kein einfacher Tag.

Aber einer, der mich daran erinnert hat und noch einmal mehr dazu einlädt, dass ich nicht alles alleine tragen muss.

Und: Es ist kein Zeichen von Schwäche, wenn eine andere Löwin mit durchs Dickicht geht.

 

Denn auch in freier Wildbahn ziehen Löwinnen ihre Jungen gemeinsam groß. Nicht weil sie müssen – sondern weil sie wissen, dass es so besser geht.

 

Was für ein Geschenk, auf andere Löwinnen zu treffen,

die sich – mit aller Unvollkommenheit, mit ihrer eigenen Sprache und Kraft – darum bemühen,

ähnliche Wege zu gehen wie die, die ich für meinen Sohn und mich gewählt habe.

 

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