Zwischen Herz und Alltag: Ein Blick auf die bedürfnisorientierte Begleitung meines Sohnes

Manchmal blicke ich auf meinen Sohn und frage mich, wie so viel Leben, so viel Neugier, so viel Kraft in einen so kleinen Menschen passen können. Er ist sieben Jahre alt, voller Ideen und Fantasie, und jeden Tag lehrt er mich, die Welt mit neuen Augen zu sehen. Doch unser Alltag lehrt mich auch, wie herausfordernd es sein kann, die Balance zu halten – zwischen der Berücksichtigung seiner Bedürfnisse, meiner eigenen und den vielen kleinen und großen Dingen, die das Leben von uns fordert.

 

Die Gewaltfreie Kommunikation (GFK) begleitete mich bereits vor meiner Elternschaft und insofern war direkt ab der ersten Sekunde klar, dass ich mein Kind bedürfnisorientiert begleiten möchte. Die GFK gab und gibt mir täglich neu dafür eine Sprache und einen Rahmen. Sie lehrte mich, zuzuhören, wahrhaftig zu hören, was mein Sohn braucht, und gleichzeitig auch meine eigenen Bedürfnisse nicht zu ignorieren. Aber die Praxis? Oh, die ist oft alles andere als klar und leicht.

 

Es gibt Tage, an denen ich spüre, wie meine Energie schwindet, weil ich so sehr damit beschäftigt bin, meinen Sohn zu verstehen und ihm Raum zu geben. Raum für seine Wut, seine Freude, seine unendlichen Fragen. Es gibt Momente, in denen ich mich nach Ruhe sehne, nach einem Moment für mich allein, und gleichzeitig dieses schlechte Gewissen verspüre, weil ich doch weiß, wie wichtig präsente Zeit für ihn ist. Denn diese präsente Zeit ist wie ein Anker – sie gibt ihm Sicherheit und die Gewissheit, dass er wichtig und richtig ist, genau so, wie er ist.

 

Dann gibt es diese Momente, die alles in den Schatten stellen. Wenn er mit leuchtenden Augen eine seiner Entdeckungen mit mir teilt – sei es ein selbst gezeichnetes Graffiti, ein neues Wort, das er gelernt hat zu lesen oder zu schreiben, oder ein kreativer Einfall, der nur aus seinem wachen, kindlichen Geist stammen kann. Wenn er mich unvermittelt umarmt, meinen Blick sucht und sagt: „Mama, du bist die Beste, die ich nie gehabt hab.“ Diese Momente fühlen sich wie kleine Wunder an, die mir zeigen, dass die bewusste Entscheidung für einen kindzentrierten Alltag statt einer wirklich bedürfnisorientierten Begleitung für uns jetzt in diesem Moment genau richtig ist.

 

Ein kindzentrierter Alltag bedeutet für mich jedoch nicht, dass ich mich selbst aufopfere – und genau hier liegt die Herausforderung. Es bedeutet, Prioritäten zu setzen, ihm ganz viel Raum zu geben, aber auch Grenzen zu setzen wo es für mich nicht (mehr) stimmig ist. Es bedeutet, ihm vorzuleben, wie wichtig Selbstfürsorge ist, und ihm zu zeigen, dass auch meine Bedürfnisse zählen. Oft ist das ein Balanceakt, der sich wie ein Tanz an der Klippe anfühlt. Doch dieser Tanz hat mich gelehrt, geduldig mit mir selbst zu sein, wenn ich ins Straucheln gerate.

 

Gestern z.B. war ich sehr erschöpft am Nachmittag und mein Sohn wollte mit mir Lego spielen. Es sollte ein großes Krankenhaus entstehen für viele Patienten, mit Hubschrauberlandeplatz und vielem mehr ... und mein Sohn hatte viele, viele Rückfragen denn offenbar gab es in seinem Kopf eine Vorstellung davon wie ein Krankenhaus zu sein hätte. Ich kuschelte mich mit Wärmflasche unter die Decke und übernahm die Bauüberwachung. Mein Sohn kam gefühlt mit jedem dritten Legostein zu mir und fragte ob er diesen auch für das Krankenhaus verwenden könnte. Ich wiederholte unendliche Male, dass er alles machen könnte und dass es viele verschiedene Arten von Krankenhäusern gibt. Anfangs bekam er noch Zusatzinfos von mir z.B. wie dienlich es doch für den Gesundungsprozess der vermutlich sehr traurigen Patienten wäre, wenn das Krankenhaus schön farbenfroh gestaltet werden würde. Irgendwann blieben meine Augen zu und ich murmelte nur noch, dass dieser Stein auch verwendet werden kann. Ich brauchte Ruhe und gestern gelang es uns, dass er spielen konnte und ich mir eine Auszeit nehmen konnte. Das erfordert im Alltag oft ein Höchstmaß an Kreativität und zwar (bisher) meist (noch) von mir. Doch wenn das gelingt, dann sind das diese besonderen Momente.

 

Mein Sohn hat mir auf seine ganz eigene Art gezeigt, dass Verbindung das Wichtigste ist. Nicht Perfektion, nicht die immer gleichen Abläufe, sondern echte Verbindung. Und diese Verbindung entsteht in den kleinen Momenten: beim gemeinsamen Lachen über einen dummen Witz, beim abendlichen Kuscheln, wenn wir über unseren Tag sprechen, oder wenn wir zusammen ein neues Abenteuer planen. Manchmal ist es eine spontane Kissenschlacht oder ein gemeinsames Backen in der Küche, bei dem Mehl und Lachen durch die Luft fliegen.

 

Bedürfnisorientiert zu leben und unseren Alltag kindzentriert zu gestalten ist für mich kein Widerspruch. Ich habe gute Gründe dafür und insofern ist es nicht nur eine Entscheidung für ihn und seine Bedürfnisse. Es ist eine Entscheidung für uns beide, für unsere Beziehung. Es ist ein Versprechen, das ich mir selbst gegeben habe: für die Liebe, die uns verbindet, immer wieder den Mut zu finden, loszulassen, zu reflektieren und neu zu beginnen. Und auch wenn ich nicht immer alles perfekt mache, bin ich im Vertrauen und darf erleben, wie wir gemeinsam wachsen.

 

Diese Reise ist eine Herausforderung, aber sie ist auch ein Geschenk. Ein Geschenk, das mich lehrt, im Moment zu leben, präsent zu sein und immer wieder zu erkennen, dass das Leben in seiner Unvollkommenheit wunderschön ist.

 

"Der beste Weg, sich selbst zu finden, ist, sich im Dienst an anderen zu verlieren." - Mahatma Gandhi

 

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